Eine wallende Woge aus tannengrünen Stoffbahnen schwappte herein und zog die Eingangstür mit überraschender Agilität und Behändigkeit hinter sich ins Schloss.
„Ahä a ...“, schrie die dicke Frau, als sie völlig unerwartet vom Tresen zurückschrak und mich samt meiner losen Dokumente in der freien Hand mit sich auf ihre Seite riss. – Vor Schreck hatte sie vergessen, ihren Griff von meinen Arm zu lösen.
„Renja, ich bin's nur“, sagte die Stimme einer jungen Frau kurz nach meiner unsanften Landung auf dem Fußboden. Wie es sich zeigte, bot der Rezeptionstresen seinem Personal doch reichlich mehr Platz, als der gewöhnliche Besucher vermutet hätte.
„Renja?“, wiederholte ich, während ich mich, meine Zettel umklammernd, an der Theke nach oben zog. „Ist das dein Name?“ Ich schenkte der voluminösen Hausherrin ein wissendes Grinsen.
Sie sah gezielt an mir vorbei, hinüber zu dem flatternden Stoffwesen.
„Erren, ich habe Kundschaft“, sprach sie halb flüsternd, halb schreiend.
„Oh“, sagten die Tuchbahnen. Sie hatten sich inzwischen beruhigt und hingen nun träge an einem sehr dünnen Gestell herab. Dann langten ein paar spindeldürre Arme aus den Stofflagen heraus und schoben einen Teil des dichten Gewebes nach hinten.
Der Kopf einer jungen Frau kam zum Vorschein. Im Unterschied zur Herrin dieses Hauses schien diese kaum ein Gramm Fett am Leib zu haben. Es war gewissermaßen bewundernswert, wie dieses dürre Ding es schaffte, sich unter dem Gewicht des schweren Stoffs auf den Beinen zu halten.
„Es tut mir leid, Renja“, sagte sie nervös. „Ich wollte nicht stören. Ist alles in Ordnung? Du siehst so blass aus. Was ist mit dir?“ Erren wandte sich zu mir. „Was ist mit ihr?“
„Nur die übliche Furcht vor dem Ernstfall“, seufzte Renja.
Die junge Frau flatterte zum Tresen und ergriff mit ihren knochigen Fingern die dicklichen Hände der besorgten Empfangsdame.
„Keine Sorge, du kannst dich beruhigen, Renja“, sprach sie hastig. „Der heutige Vorfall beim Peryptolithen war nur ein falscher Alarm. Lediglich ein verirrter Reisender, nichts weiter.“
„Ach ja?“ Renja klang nicht ernstlich erleichtert.
Nach einem Moment des allgemeinen Schweigens sah sie mich an. Sie musterte mich. „Ein verirrter Reisender, sagst du?“
Ich musterte zurück, nur war ich weniger bei der Sache, als ich es besser hätte sein sollen. Denn mir fielen just in dem Moment einige hell leuchtende Parallelen zwischen diesem Gerücht über einen Vorfall und meinem heutigen Spaziergang in der Stadt auf ... – Meinten die etwa, dass ich ...?
„Du weißt Bescheid!“, ertappte Renja mich bei genau diesem Gedankengang.
Ich neigte den Kopf leicht zur Seite und hob meine Brauen.
„Du. – Du weißt weit mehr als nur Bescheid!“, zischte sie anklagend.
Ihre dunklen Augen verschmälerten sich zu einem Paar glühender Kohlen, die zwischen dem düsteren Lidstrich loderten.
„Er?“, mischte sich Erren ein – sofort bereit erbost zu werden.
Renja machte eine manische Geste, bei der sie ihre Arme ausladend bewegte und das Gesicht schmerzhaft verzog.
„Aiden, sieh, wozu du mich getrieben hast“, jammerte sie. „Alles nur wegen dir! Wegen deiner ungehobelten Art! Deiner Gedankenlosigkeit! ...“
„Ach, du meine Güte, Renja, was hat er dir angetan?“, sagte die junge Frau mitfühlend und schenkte mir einen giftigen Blick. „Aiden, was hast du ihr angetan? Ich habe sie noch nie so aufgelöst erlebt.“
Spätestens jetzt hatte ich endgültig den Faden verloren. War das wieder so eine Überreaktion? – Nein, dafür war sie zu ungehalten. Sie war wohl einfach nur sauer. Oder so ähnlich ...
„Es ist so eine Schande“, beklagte sich die beleibte Dame. „Ich habe versucht, ihn zu ...“ Sie schluckte. „... aus blanker Hysterie.“ Ihre Stimme zitterte.
„Nein ...“, hauchte Erren erstaunt und legte sich bestürzt ihre dürre Hand auf den schmalen Mund. Ihre großen und runden Augen betrachteten mich jetzt – man könnte sagen – mitleidig. Eine plötzliche Erkenntnis regte sich in ihrer Miene.
„Erren Kettek.“ Sie streckte mir ihre Hand zum Gruß entgegen.
Weiter lesen: Kapitel 6 (Teil 5) | Buch 1 [Bald verfügbar]
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