Mit zwei Fingern rieb die füllige Hausdame zurückhaltend die imaginäre Lackschicht von einem imaginären Holzauge in der mit violettem Plüsch bespannten Arbeitsoberfläche.
„Nun“, meinte sie unbestimmt, „sagen wir, ich habe ein wenig an meiner Verkaufsstrategie gearbeitet.“
„Ach, wirklich?“, erkundigte sich Erren höchst interessiert. Sie dachte kurz nach.
„Renja“, schimpfte sie dann halblaut, „So etwas gehört sich doch nicht.“ Nur mit Mühe verkniff sich die junge Frau ein wissendes Grinsen.
Renja hob ihre massigen Schultern und lächelte verlegen. Mich beschlich allmählich das Gefühl, dass ich mich mehr am Gespräch beteiligen sollte. Die gelegentlichen Anzeichen kindischen Kicherns machten mich ernsthaft misstrauisch.
„Und? Klappt es?“, hakte Erren begierig nach.
„Es ist noch nicht ausgereift“, beklagte sich die runde Dame. „Er“, sie nickte mit dem Kopf in meine Richtung, „ist der Erste, der angebissen hat. Ich kann nicht behaupten, dass ich mit dem Ergebnis völlig zufrieden bin.“
„Was soll denn das heißen?“, merkte ich an.
„Sie meint damit, dass die Parameter noch nicht richtig kalibriert sind“, teilte Erren mir sehr geduldig mit – ohne meinen Einwand begriffen zu haben.
„Was genau wolltest du eigentlich erreichen?“, wandte sie sich an Renja.
„Sagen wir“, sprach diese gedehnt, „ich habe nach etwas Praktischem gesucht.“
„Aber so ganz unnütz ist er doch nicht“, nahm die junge Frau mich in Schutz. „Hast du nicht gesehen, wie ihn Herten und die anderen Burschen angesehen haben? Also ich für meinen Teil finde ihn außerordentlich praktisch.“
„Erren“, erwiderte Renja nüchtern, „du weißt selbst, dass es nicht viel braucht, um diesen freilaufenden Kindergarten in seine Schranken zu weisen.“
„Heute wirkten sie aber deutlich verängstigter als sonst.“
„Wenn du es sagst, Erren ...“
„Was genau wollten die hier eigentlich?“, fragte ich.
Renja betrachtete mich einen Moment lang etwas unschlüssig, dann sah sie zu der hageren jungen Frau hinüber.
„Erren, was hast du angestellt?“
„Gar nichts“, sagte Erren, scheinbar völlig überrascht, dass diese Frage überhaupt gestellt wurde. „Jedenfalls war ich es nicht“, fügte sie zögerlich hinzu.
„Mal wieder zur falschen Zeit am falschen Ort?“, meinte Renja gelangweilt.
Erren nickte verlegen.
„Das kommt vor“, warf ich ein.
„Dass gerade du das so siehst, überrascht mich nicht“, stellte die rundliche Empfangsdame abschätzig fest.
„Ich wollte mir nur eines dieser Symbole, die seit Kurzem überall in der Stadt verteilt sind, näher ansehen“, rechtfertigte sich Erren. „Unglücklicherweise haben mich diese Hohlköpfe dabei entdeckt. Und sie glaubten doch tatsächlich, dass ich es gewesen bin, die sämtliche Wände mit diesem Gekrakel beschmiert hat. Dabei habe ich nicht die geringste Ahnung von latenter Runenmagie ...“
„Verständlich“, meinte die breite Dame in mitfühlender Kälte.
„Aha“, sagte ich.
„Wer benutzt heute so etwas denn noch?“, beschwerte sich die junge Frau. „Der aktuelle Trend geht eindeutig zum großräumig inszenierten Wort mit Gesangsformeln. Gezielte Sprache, keine unnötigen Bewegungen, bestenfalls ein paar von diesen hilfreichen Accessoires.“ Sie zupfte unbewusst an einer türkisblauen Glasperlenkette, die sie irgendwo unter ihren Gewandschichten um den Hals trug. „Das ist bei Weitem nicht so aufwendig und muss auch nicht weggewischt werden, wenn man fertig ist.“
„Ja, ja, Erren, sehr praktisch“, bestätigte Renja halbherzig beschwichtigend. „Praktisch in seiner Anwendung, in Anbetracht der Funktion jedoch vollkommen nutzlos.“
„Aber immer noch wirksamer als deine Fluch-aus-dem-Kochtopf-Experimente.“
„Erren, du wirst langsam ausfallend.“
„Oh. Entschuldigung.“
Verwirrte Stille stand plötzlich im Raum und versuchte sich, ohne eine bestimmte Orientierung auszubreiten.
„Nichts für ungut“, sprach ich einen Entschluss fassend, „aber ich suche mir besser eine andere Möglichkeit zum Übernachten.“ Ich schickte mich jetzt ernsthaft an, nicht nur das Zimmer, sondern auch dieses ohnehin immer fragwürdiger werdende Haus und sämtliche darin befindlichen Daseinsformen zu verlassen.
„Nein, das wirst du nicht tun“, widersprach mir die viel zu präsente Herrin dieses Hauses.
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