Eins ... Drei ... Fünf ..., tastete ich mich in der trägen Dunkelheit des oberen Stockwerks von Tür zu Tür und von Zimmernummer zu Zimmernummer. Die Vier hatte ich bisher noch nicht gefunden.
Aber, wer bitte hielt es für eine gute Idee, einen Haufen stockbesoffener Waldschrate einen finsteren Flur entlangzuschicken, in dem sich alle geraden Zimmernummern auf der einen und alle ungeraden auf der anderen Seite befanden?!
Ich wechselte zur gegenüberliegenden Wand.
Acht ... Sechs ... Ah ja, Vier! Aufschließen ... Hrgh!
Ich hechtete zum Fenster – dem winzigen, verglasten Loch mit Holzrahmen in der Wand – und riss es auf. Hier hatten eindeutig zu viele Menschen mit viel zu wenig Sinn für Hygiene viel zu viel Zeit miteinander verbracht.
Aber ich konnte von Glück reden, dass ich trotz der späten Stunde der Einzige in diesem Zimmer war. Ich verspürte nämlich nur ein sehr geringes Bedürfnis danach, die Nacht mit menschenähnlichen Wesen zu verbringen, denen es durch bloße Anwesenheit gelang, saubere Sumpfluft in eine todbringende Dunstwolke zu verwandeln.
Mit der Bewusstlosigkeit ringend, klemmte ich mich so dicht wie möglich ans Fenster, bis die beißenden Gase meinen Geruchssinn betäubt und für diese besondere Duftnote bis auf Weiteres unbrauchbar gemacht hatten. Schon nach wenigen Augenblicken nahm ich nur noch einen leichten Hauch menschlichen Lotterlebens mit moorigen Akzenten wahr.
Während ich nun so da hing und diese neue Atmosphäre zu ertragen lernte, ließ ich den Blick durch das Halbdunkel meiner Unterkunft schweifen. Und ich entdeckte eine weitere besondere Note, auf welche diese Gastwirtschaft großen Wert zu legen schien.
Neben meiner Wenigkeit befanden sich in diesem Raum vier ausgewachsene Doppelstockbetten, inklusive einer Ausstattung in Form von Federbetten und Kopfkissen – selbstverständlich alles mit der gängigen Mindestmenge an Bettwäsche überzogen. Das Markante an diesem Ensemble war für mich nur, dass über eben dieser Bettwäsche ein weiterer Bezug zu liegen schien, der mich unweigerlich an eine überalterte Kuchenglasur mit sehr kalorienreichen Inhaltsstoffen erinnerte.
Sicherlich war dieser ölige Glanz in gewisser Hinsicht überaus praktisch, wenn es darum ging, Geld für Leuchtmittel zu sparen. Denn er reflektierte das fahle Mondlicht, welches durch das winzige Fenster hereinfiel, vorzüglich und konnte es sogar um ein paar Millicandela verstärken. Allerdings hegte ich begründete Zweifel, dass in einem dieser Betten eine angenehme Nacht auf mich warten würde.
In Gedanken war ich schon kurz davor, mich auf eine halbwegs erholsame Ruhephase in unmittelbarer Bodennähe einzurichten, als mir auffiel, dass eines der Betten wesentlich weniger Strahlung von sich gab. Gleich neben mir, links vom Fenster. Eben wie es mir der Wirt ja auch beschrieben hatte ...
Zu meiner ernsthaften Überraschung – ja, zu meiner fassungslosen Verblüffung – stand in diesem Zimmer ein einwandfreies, frisch bezogenes Bett, das schon bei seinem bloßen Anblick den Geruch soeben gelüfteter Wäsche und starken Waschmittels in meiner Erinnerung hervorrief. In Gedanken zog ich meinen metaphorischen Hut vor dem Schankwirt oder demjenigen, der es geschafft hatte, in dieser Heimat menschlichen Unrats ein solch brillierendes Stück Sauberkeit zu bewahren.
Doch nicht nur der für mich bestimmte untere Bereich des Etagenbettes folgte einem anderen Hygienestandard als alles andere in diesem Zimmer. Auch die obere Liege wies deutliche Spuren von erst vor Kurzem gewechselter Bettwäsche auf. Jedenfalls, wenn man einmal davon absah, dass letztere sich unter einem Haufen Gerümpel versteckte ... Hätte man für diese Ansammlung eine Inventarliste anfertigen wollen, wäre diese wahrscheinlich mit ein paar harmlosen Schreibutensilien, wie Tinte und Pergament, losgegangen und – nach der Erfassung zahlreicher kleiner Lederbeutel unbekannten Inhalts – schließlich bei eher bedenklichen Dingen gelandet, die, wie Blutfleckweg oder Hämoschrubber, auf gewissenhafte Waffenpflege schließen ließen. Wer auch immer da oben nächtigte, hatte mit Sicherheit jede Menge Langeweile, einen üppigen Geldbeutel und des Öfteren Probleme mit Blutspuren an unerwünschten Stellen.
Von einem Funken Neugier ergriffen trat ich näher heran, um eine bessere Sicht auf diese offen dargelegten Persönlichkeitsstrukturen zu erhalten – und griff unbewusst mit einer Hand nach der Bettkante.
Ich schrie auf und riss eilig meine Hand zurück. Ein heißer pulsierender Schlag hatte mich gepackt und meine Hand beinahe von innen heraus zerrissen. Zumindest fühlte es sich so an. Wenige Sekunden nach dem ersten Schrecken war jeder Schmerz verflogen. Nur meine Hand blieb noch etwas taub und ich spürte, wie das Gefühl langsam in sie zurückschlich. Es kribbelte.
Wie durch den Schock gelähmt, klammerte sich mein Blick an dieses hölzerne Bett mit seiner von Natur aus gut gepolsterten Grundausstattung. Auf so eine Erfahrung war ich nicht vorbereitet gewesen. Aber wer erwartete ein solches Verhalten schon von einer Schlafgelegenheit, die einem für gewöhnlich friedliche Träume bescheren sollte?
Während ich so starrte, fiel mir auf, dass am oberen Bettrahmen eine Reihe silbrig schimmernder Symbole aufgetaucht war, deren Bedeutung mir nicht geläufig war. Derjenige, der hier sein Lager aufgeschlagen hatte, kannte sich mit Hexerei oder vergleichbaren Dingen aus und scheute sich nicht davor, dieses Wissen anzuwenden.
Aber was sollte ich machen? Bis jetzt hatte er – oder sie – mir weder etwas angetan noch um Hilfe für die Abreise aus diesem Kaff gebeten. Die Gelegenheit war also günstig, um einfach mal abzuwarten. Und wenn ich Glück hatte, passierte zur Abwechslung vielleicht sogar rein gar nichts.
Ich konnte jedenfalls eine Pause vertragen, bevor der Tag erneut beschloss, sich plötzlich und bis auf Weiteres in die Länge zu ziehen. Und um sicherzugehen, dass dies nicht so schnell passierte, entschied ich, mein Nachtlager vorsorglich nach unsichtbaren Barrieren und metaphysischen Grenzmarken abzusuchen.
Also kniete ich vorsichtig nieder und näherte mich mit den Fingerspitzen der unteren Bettkante ...
Nichts geschah.
Tief geduckt strich ich behutsam über die näher liegenden, dann die etwas weiter entfernten Bereiche meiner Liegefläche ...
Auch nichts.
Alles klar ... , stellte ich zu meiner Verwunderung und mit einem Hauch minimaler Enttäuschung fest. Ich zuckte mit den Achseln, stand auf, legte meinen Rucksack und die Waffen neben mich auf den Boden, schloss das Fenster, setzte mich aufs Bett, fühlte eine unerträgliche Hitze und einen schmerzhaften Stich direkt hinter meiner Stirn und kippte besinnungslos zur Seite. – Ich hatte doch etwas übersehen.
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