„Aiden, was hast du?“, flötete die zärtliche Stimme der voluminösen Dame hinter dem Rezeptionstresen.
Ihr Tonfall irritierte mich. Warum sprach diese Frau mich so überdeutlich mit meinem Vornamen an? Diese ständige Vertrautheit passte irgendwie nicht in das eigentlich diskrete Gewerbe einer Herberge.
Aber hatte ich eben nicht noch vorgehabt, auf mein Zimmer zu gehen? Dennoch hielt ich in meiner Bewegung inne.
„Aiden?“, erkundigte sich die korpulente Frau mit fürsorglicher Vorsicht.
Da. Schon wieder – mein Name.
Kenne den Namen deines Gegenübers und du hast Macht. So heißt es doch in unzähligen Geschichten, oder ...?
Diese Frau benutzte meinen Namen.
„Nichts“, antwortete ich gehorsam.
„Oh“, meinte sie voller Liebreiz. „Man hört so einiges aus der Stadt ... – Sind das Steckbriefe, Schatz?“
Leicht benommen sah ich auf die verstaubten und teilweise zerknitterten Zettel in meinen Händen. Ich reichte ihr langsam die Papiere. Sie nahm die Bögen in ihre kleinen runden Finger und blätterte wahllos darin.
„Und, Aiden?“, hauchte sie mir sanft lächelnd zu. „Kannst du es wirklich mit diesen schweren Burschen aufnehmen?“
Ich lachte leise. „Das wird sich zeigen“, sagte ich, während ich merkte, wie sich ein schiefes Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitete.
Der Ausdruck in den kantenlosen Zügen der beleibten Frau hingegen wurde plötzlich kühl und distanziert.
„Wie heißt du überhaupt?“, brach es aus mir hervor, ohne dass ich genau wusste, wie ich auf diese Frage gekommen war.
„Man hört so einiges aus der Stadt, Aiden“, wiederholte sie betont in ihrer betörenden Redeweise. Sie war zu etwas entschlossen. Das sah ich. Aber wozu? War das Mut? War das Verzweiflung? War das Angst? Warum empfand ich für sie Mitgefühl?
Ich sah sie an – in ruhiger und braver Erwartung. – Warum war ich so ruhig?
„Sie sind schon seit einigen Tagen auf der Suche“, sprach sie bedächtig.
„Wonach?“, flüsterte ich mitgerissen.
„Wonach ist nicht ganz richtig, Aiden“, griff sie meine Rede auf. „Frage besser: Nach wem?“ Die dicke Frau beugte sich vor, als wolle sie mich genauer betrachten. Sie wirkte besorgt und schien sich innerlich gegen etwas zu sträuben.
Ich verharrte.
„Eigentlich ist das gar nicht wichtig“, schob sie das einseitige Gespräch in eine andere Richtung.
„Ach ja?“, raunte ich aufmerksam.
Die dickleibige Dame stutzte.
„Ja, Aiden“, artikulierte sie jede Silbe, verlor dabei jedoch nicht ihren durchdringenden Charme. „Die Bewohner dieser Stadt sind beunruhigt. Jemand ist ihrem geliebten Peryptolithen ein gefährliches Stück zu nahe getreten und die Menschen hier lieben ihre ausgleichende Gerechtigkeit zugunsten ihres oberflächlichen Seelenfriedens.“
„Ist das mein Problem?“, sagte ich ruhig.
„Du verstehst nicht, Aiden“, ermahnte sie mich „Sie merken sehr wohl, wer mit ihnen singt, und sie erkennen diejenigen, die schweigen. Ständig sammeln sie Gründe und Gelegenheiten. Und irgendwann ... Sie holen sich schon ihre Gerechtigkeit.“
„Also ist es nicht nur mein Problem“, stellte ich fest.
Sie biss die Zähne zusammen. „Aber was ist, wenn sie dich auf ihrem Kreuzzug finden, Aiden?“
„Das ist kein Problem“, sprach ich.
Der bittere Blick der runden Dame musterte mich mit zorniger Ernsthaftigkeit und verhaltener Neugier.
„Und wenn sie mich finden, Aiden?“
Meine Hand lag bereits auf dem Griff meines Schwertes. Ich grinste breit und legte den Kopf schief.
Noch keine Kommentare vorhanden
Was denkst du?