Leseprobe

Dieses Hutmenschenkomplott (Tyrrin Hexenkater Band 1)

von Platti Lorenz

illustriert von Mie Dettmann

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Über den Erzähler


Alten Katern kann man keine neuen Tricks beibringen – schon gar nicht einem altgedienten Hexenkater ...

Ihr meint, das kommt halt mit dem Alter?

Urteilt nicht zu schnell, ihr Lieben. 

Es liegt nicht am Alter, dem schlechten Kurzzeitgedächtnis und ganz bestimmt nicht an der beginnenden Senilität oder der Arthrose. Keineswegs.

Einem alten Hexenkater, wie Tyrrin einer ist, kann man nichts mehr beibringen, weil das für ihn einfach gar nichts Neues ist.


Denn er hat wie folgt gelernt ...

Lektion 1 oder Wie ich zu diesem Leben kamNeuer Titel

„Miu, miu!“

Das waren meine ersten Worte.

Oh, wie drollig!, denkt ihr? 

Das ist ja so niedlich!, meint ihr?

Kaum einer stellt die Frage: Was mag dieses kleine Kätzchen dort wohl sagen?

Ihr meint, das sei nicht wichtig? Was sollte es schon sagen? Was hätte es zu meinen, dieses winzig kleine, neugeborene Ding? Von der Welt hat es doch noch nichts gesehen!

Liebe Mädchen und Jungen, liebe Kätzlein und Katerchen – ganz genau dort liegt der Hund begraben – zumindest metaphorisch gesehen.

Was also hat ein nur Minuten junges Katzenkind oder, wie in meinem Fall, ein Katerlein ... – Ja auf diesen noch recht kleinen, aber feinen Unterschied bestehe ich. – Was, glaubt ihr, hatte ich zu sagen?

„Mami?“

Ja natürlich. Ich mache hier so einen Aufstand wegen des Wortes „Mami“. – Euch hat wohl die Tollwut gebissen?!

Meine ersten Worte waren nicht „Mami“. Auch nicht „Papi“ – für die besonders Spitzfindigen unter euch. Und genauso wenig sagte ich „Hunger!“, „Mir ist kalt.“, „Ich muss mal!“ oder „Wo ist der Blödmann, der mich die letzten neun Wochen ständig in den Bauch getreten hat?“. – Obwohl letztere Bemerkung im Nachhinein betrachtet gar nicht so abwegig ist ... Aber, nein. 

Meine aller ersten Worte waren passender. Sie passten haargenau zu mir.

Ihr wollt jetzt tatsächlich wissen, was ich sagte?

Ich sagte: „Schön! Endlich mal was Neues!“

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Lektion 2 oder Woher ich diesen Namen hab

„Dein Name ist Tyrrin.“

„Wer? Ich?“, sagte ich.

„Ja, du“, sagte Mama. Und es kommt mir vor, als sei dies erst Gestern gewesen ...

„Muss das denn sein?“, sagte ich.

„Du bist ein Tyrrin und Schluss jetzt!“, sagte sie.

„Warum darf sie Betti heißen und ich nicht“, protestierte ich und zeigte auf meine wenige Minuten ältere Schwester.

„Sie ist eine Kätzin und du bist ein Kater. Sie ist eine Betti und du nicht.“

„Dann will ich Kurti heißen“, sagte ich und zeigte auf meinen wenige Minuten jüngeren Bruder.

„Nein“, sagte Mama, „du heißt nicht Kurti. Auch nicht Rolli, Feechen, Sissi, oder Hubert-Josef. Du heißt Tyrrin und nicht wie eines deiner anderen sechs Geschwister.“

„Nur Nervensägen heißen Tyrrin!“, wandte ich ein.

„Ich sagte doch: der Name passt zu dir.“

„Hiiier her, Kittykittykitty!“, flötete es jenseits unseres Katzenkörbchens und mein Protest hatte sich von jetzt auf gleich verflüchtigt.

Auf einmal brach ein heftiges Gerangel aus. Flauschige Fellbälle kugelten quietschend durcheinander, aber gezielt in Richtung Korbrand. Rolli kletterte auf Betti. Feechen krabbelte auf Rolli. Hubert-Josef schoss über die ersten zwei hinweg und landete auf Feechen. Kurti drängelte sich irgendwo dazwischen, Sissi heulte und Betti warf sie schließlich alle um.

Da war sie – die Gelegenheit.

Ich schob mich gekonnt an der pelzig weichen, wuselnden Masse vorbei, benutzte mein hakiges Krallenwerk, war beinah an der Randkante des Körbchens angekommen ...

Plötzlich hing diese Heulsuse Sissi an meiner Rute. Sie kam nicht hoch. Ich kam nicht weiter. – Das war es gewesen mit meiner Gelegenheit.

Erst Kurti, dann Betti, Hubert-Josef, Feechen, Rolli und schließlich auch Sissi stiegen unsanft über mich hinweg. Ich verlor den Halt und fand mich sogleich in dem mit Abstand uninteressantesten Bereich des Körbchens wieder – nämlich darin!

Erneut hörte ich von draußen das glockenhelle „Kittykittykitty“.

Ich sah entsetzt zu Mama.

„Nun husch. Na geh' schon“, sagte sie liebevoll, „Ohne dich wären sie alle noch hier drin.“

Ich musste mich jucken und fiel dabei fast von meinem Hintern.

„Nun mach schon“, sagte Mama. „Du bist ein Tyrrin und Tyrrins sind zwar Nervensägen, doch sie sind weder dumm noch nachgiebig.“

„Kittykittykitty“, ertönte es nochmals von drüben – dieses Mal von dem aufgeregten Miauen kleiner Miezekätzchen begleitet.

„Hörst du?“, sagte Mama. „Sie wartet auf dich.“ Dann putzte sie mir fürsorglich über den Kopf.

Ich schüttelte mich.

„Tyrrin ist und bleibt trotzdem der Name einer Nervensäge“, maulte ich abschließend und schwang mich schon im nächsten Zuge die Korbwand hinauf. Ich schlug die Krallen hinein – schon weitaus sicherer als noch vor wenigen Augenblicken, überwand das Hindernis, landete auf der anderen Seite.

„Kittykittykitty, da seid ihr ja alle“, rief sie – unsere Old Lady.

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Lektion 3 oder Wie ich die Neugier entdeckte

Sie verstand nicht.

Ja, wie auch, liebe Kätzlein und Katerchen, liebe Mädchen und Jungen? 

Old Lady verstand natürlich kein einziges Wort von uns, denn sie war eine Menschenfrau. Für sie klang alles, was wir sagten wie „Miu!!“ oder „Miu, miu?“.

Freilich verstanden wir ihre Worte genauso wenig, aber ihre Stimme war sehr warm und freundlich und wir mochten die Art, wie sie mit uns redete. Mal klang sie ruhig. Mal klang sie aufgeregt. Und manchmal – doch nur, wenn Old Lady es so wollte – klang sie schärfer als die frisch gewetzte Klinge eines Rasiermessers.

Speziell die letztere Tonart begriffen wir am schnellsten, doch auch die anderen Klänge verstanden wir sehr bald zu deuten. 

Es war gar nicht mal so schwer. Denn jedes Mal, wenn sie etwas auf eine bestimmte Art und Weise sagte, gab es stets etwas Bestimmtes, dass sie dabei tat.

Klang sie mild und warm, zog dies sehr oft angenehme Streicheleinheiten nach sich. Klang ihre Stimme glockenhell und wie „kittykittykitty“, durften wir stets ein paar schöne Leckereien oder ein neues Spielzeug erwarten. Klang sie plötzlich streng und schroff, saßen wir wenig später allesamt im Körbchen und lauschten Mamas Standpauke. Und klang Old Lady selbstsicher, bestimmt und voller Ehrgeiz, hockten wir alle bald von ganz allein in unserm Körbchen – in der Regel unter Mama – oder verkrochen uns in die nächstbeste Nische, die wir auf die Schnelle finden konnten. Denn legte Old Lady erst ein solches Verhalten an den Tag, brachte dies immer eine Form der völlig unbegründeten Folter mit sich – häufig spielten dabei eine Badewanne, Seife, eine sehr grobe Bürste und jede Menge Wasser eine wesentliche Rolle.

Doch viel zu oft war das Versteckspiel einfach für die Katz. So meisterhaft wir auch versuchten, uns vor Old Lady zu verbergen – es war umsonst. Sie fand uns.

Je ... des ... Mal ...

Ob ängstlich wimmernd oder schmerzerfüllt quiekend – nicht, dass wir in der Tat so etwas wie ernste Schmerzen verspürt hätten – Old Lady zeigte kein Mitgefühl, und schon gar kein Erbarmen. So landete schließlich jeder von uns in einer fluffig aufgebauschten Schaumwolke aus lauwarmem Wasser und umherirrenden Seifenblasen ...

Aber von all diesen eigentümlichen Verhaltensweisen, die uns Old Lady offenbarte, erschien mir eine ganz besonders eigenartig – um nicht zu sagen faszinierend.

Old Lady hatte nämlich eine Angewohnheit, die sich jeden Abend stets aufs Neue wiederholte ...

Sie setzte uns alle behutsam ins Körbchen und wir protestierten auch nicht. Im Gegenteil. Wir erwarteten das, was kommen würde voller Spannung und Vorfreude. Old Lady setzte sich neben uns in ihren Sessel – und redete.

Natürlich verstanden wir auch davon nicht ein einziges Wort. Aber durch die Art wie sie redete, fesselte sie jeden von uns, sogar meine Mama.

Mal sprach sie ganz leise. Mal sprach sie sehr, sehr, seeehr ... gedehnt. Mal sprach sie laut und noch LAUTER! Mal sprach sie gewöhnlich, verzog dabei jedoch grotesk ihr Gesicht. Mal schriiiieeee(!!!) sie vor Angst und vor abscheulichem Grauen – und manchmal schrien wir ...

Old Lady verstand es, uns auf eine wahrlich bezaubernde Art in ihren Bann zu ziehen, die weit jenseits von Bedeutung und Verständnis lag.

Mir aber reichte das nicht.

Ich war ein Tyrrin. Ich war die neugierige Nervensäge ...

Ich wollte mehr wissen. Ich wollte wissen: Warum?

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Lektion 4 oder Wie ich zu verstehen lernte

Besorgt strich sie mir über den Kopf, murmelte etwas – mehr zu sich selbst als zu mir. Ich schielte.

Ihr Ausdruck wirkte etwas ratlos und dennoch amüsiert. Ich schielte nicht mehr.

Sie lachte und sagte wieder ein paar Worte. Ich schielte.

Sie lachte nicht mehr. Ich schielte nicht mehr. Ich sah sie nur noch an. Erwartungsvoll legte ich meinen Kopf schief.

„Was ist nur los mit dir?“, sprach sie und ich verstand. Sie hatte diesen Satz in letzter Zeit sehr oft zu mir gesagt, sodass ich an seiner Bedeutung keine Zweifel hegte.

Freudig hob ich mein Schwänzchen und schnurrte.

Wieder schien Old Lady irritiert. Sie sah sich hilfesuchend um. Schließlich griff sie abgelenkt nach einem Handtuch, packte mich sicher darin ein und legte mich wortlos zu Mama und meinen schlafenden Geschwistern ins Körbchen. 

Dann ging sie fort.

In weniger als zwei Minuten hatte ich mich wieder frei gewühlt – inzwischen hatte ich darin richtig Übung – und machte mich gerade daran über den Korbrand zu springen ...

„Tyrrin, was soll das?“, raunte Mama mir verschlafen zu.

„Ich versteh sie, Mama“, sagte ich begeistert.

„Du kannst sie auch morgen noch verstehen“, sprach Mama mit müdem Interesse.

„Aber, Mama!“, quengelte ich.

„Kein aber, Tyrrin.“ Sie hob ihren Kopf und betrachtete mich unbeeindruckt. „Du wirst noch genug Gelegenheit haben, um mitten in der Nacht Sachen zu verstehen – wenn du älter bist.“

„Aber, Mama, ich verstehe sie – die Menschin“, sagte ich, jetzt lauter.

„Halt die Klappe, Tyrrin“, murrte Kurti.

„Halt selber die Klappe“, fauchte ich zurück.

„Tyrrin!“, ermahnte Mama mich. „Benimm dich! Außerdem heißt es nicht Menschin, sondern Frau oder Menschenfrau.“

„Ich versteh die Menschenfrau!“, setzte ich meine Begeisterung fort. „Ich verstehe, was sie sagt – ihre richtigen Worte.“

„Kaum einer versteht die Menschen, mein Schatz“, beruhigte Mama mich. „Und die, die meinen sie verstehen zu können, sind ... sagen wir ... sonderlich.“

„Tyrrin ist sonderlich!“, rief Betti schadenfroh.

Ich bedachte sie mit einem mächtig strafenden Blick.

„Hör auf zu schielen, Tyrrin“, griff Mama ein, „sonst bleibt das so.“

Ich bemühte mich, weniger strafend zu gucken.

„Und jetzt schlaf, Tyrrin. Du bist schon viel zu viele Nächte ausgebüxt und hast die Menschenfrau um ihre Nachtruhe gebracht.“

„Aber, Mama!“

„Nichts aber, schlaf jetzt!“ 

Der nächste Tag verlief wie gehabt. Ich wich Old Lady nicht einen Moment von der Seite, fing jedes ihrer Worte mit den Blicken auf. Alle meinten, ich würde dabei schielen! – Pff! Was für Banausen ...

Old Lady nahm mich mehrmals auf den Arm, betrachtete mich besorgt und redete mit mir. Ich starrte ... Nun, ihr kennt das Spiel ja schon.

Es kam der Abend. Doch dieser war heute anders.

Old Lady erzählte, wie immer. Wir lauschten gespannt, wie immer. Ich beobachtete jede einzelne ihrer Regungen und Bewegungen, hörte jeden Ton und jeden Laut – an sich genau wie immer ...

Ich bemerkte ein Kichern. Dann ein Tuscheln. Wieder ein Kichern, dieses Mal mehrstimmig. Und schließlich folgte ein „Mama, Tyrrin schielt schon wieder!“.

Es war Sissi – die Heulsuse.

Ich ignorierte sie, auch wenn das allgemeine Kichern jetzt zur frechen Lachsalve wurde.

„Mama, sie doch mal!“ Diese blöde Kuh konnte einfach nicht ablassen.

„Sissi, hör auf Tyrrin zu ärgern“, mischte sich Mama mit dem Gleichmut einer müden Katzenmutter ein. „Und Tyrrin, hör auf zu schielen.“

„Sonst bleibt das so!“, setzte Hubert-Josef nach und brach mit den anderen in schallendes Gelächter aus.

Ihr denkt, dass ich mich davon beirren ließ?

Keinesfalls – liebe Kätzlein und Katerchen, liebe Mädchen und Jungen – so etwas tut ein Tyrrin nicht.

Ich schaute aufmerksamer, lauschte eindringlicher denn eh und je, sah auf Old Lady's Lippen ...


Dann geschah es – plötzlich verstand ich jedes Wort.

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